13.10.2001
NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG: Stadt Osnabrück
Deutsches Bier im virtuellen Hörsaal

Von Jens Lintel
Osnabrück
Studium per Internet – also statt höchstpersönlich nur noch per Ton- und Videoübertragung in den Hörsaal? Außer an einigen Fernuniversitäten und bei einzelnen Kursen an wenigen Hochschulen ist das weitgehend noch Zukunftsmusik. Bislang scheitert die Realisierung an den Kapazitäten der Netzverbindungen, die für eine störungsfreie Übertragung von Bild und Sprache in beide Richtungen nicht ausreichen – oder zumindest dafür gehalten werden.

 
Osnabrücker Physiker
 Dr. Jürgen Schnack Dass es auch anders geht, hat jetzt Dr. Jürgen Schnack von der Arbeitsgruppe "Makroskopische Systeme und Quantentheorie" aus dem Fachbereich Physik der Uni Osnabrück unter Beweis gestellt – ganz ohne dicke Datenleitung und mit einfachsten und weit verbreiteten Internet-Techniken. Da er wegen der unsicheren Lage zurzeit nicht selbst in die USA fliegen wollte, hielt der Fachmann für molekularen Magnetismus einen Vortrag an der Iowa State University per Internet quer über den großen Teich hinweg. Thema: die speziellen magnetischen Eigenschaften von Icosidodikaedern, also Molekülen mit 30 Ecken und 32 Flächen, die synthetisch erzeugt und etwa zur Herstellung von neuartigen Displays, Speichermedien oder auch für Nanoschaltungen dienen können.

Statt mit Spezialsoftware, Telefon-Standleitung und aufwendiger Übertragungstechnik realisierte Schnack seinen "virtuellen Hörsaal" ganz einfach mit Netmeeting, einer (kostenlosen) Standardsoftware aus dem Hause Microsoft. Sie ermöglicht es, Bild- und Ton in beide Richtungen zu übertragen und am anderen Ende auch Grafiken und beliebige Dokumente sichtbar zu machen. Keine teure Ton- und Kameratechnik kam zum Einsatz, Schnack übertrug Bild und Ton mit einer handelsüblichen Webcam und mit einem Standardmikro (im Sparset: 80 DM), die Verbindung kam über eine Standard-Internetleitung zustande. Ähnliche Verfahren sind übrigens auch mit der (ebenfalls kostenlosen) Real-Software gangbar: Damit verwirklicht Dr. Andreas Knaden vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni OS ebenfalls Live-Übertragungen in den Hörsaal und wieder heraus (Neue OZ berichtete).

"Da ich nicht sicher war, ob alles so gut wie bei den Testläufen klappen würde, hatte ich vorher ganz schön Lampenfieber", erinnert sich Schnack, der jedoch umsonst gezittert hat: Computer, Leitung, Netmeeting und der Lehrkörper funktionierten störungsfrei, nach dem gut einstündigen Vortrag erreichte ihn dickes Lob aus den USA: "Ihr Vortrag war klar verständlich, er hatte Humor, seriöses Fachwissen und beinhaltete eine große Menge wichtigen Materials ohne je überfordernd zu wirken", resümierte Kollege Marshall Luban, Physik-Professor an der Iowa State University.

Für Schnack war der Vortrag, wie er es direkt im Anschluss in einem Mail ausdrückte, eine "irgendwie seltsame" Erfahrung: Da es an der US-Universität keine Webcam gibt, musste er im Physik-Gebäude auf dem Westerberg in Osnabrück ohne Bild auskommen. Ton aus den USA hätte er dank eines Funkmikros im Hörsaal in Ames zwar hören können, da jedoch kaum Fragen gestellt wurden, blieb es auch weitgehend still. Immerhin gab es nach dem Trick mit der Bierflasche einige Lacher: Um den US-Studenten zu beweisen, dass er tatsächlich aus Deutschland und nicht etwa aus einem Nachbargebäude über die viel schnellere Leitungen eines hausinternen Netzwerkes spricht, schenkte sich Schnack vor laufender Internet-Kamera ein deutsches Bier ein. "Erstens gibt es das dort nicht und zweitens ist in Amerika Alkohol auf dem Campus strikt verboten", meint Schnack. "Niemand, und schon gar kein Lehrender, würde dort Bier zu trinken".